Hamburger Gänsemarktoper

Reinhard Keiser in Hamburg

 

1697 übernahm Reinhard Keiser die Kapellmeisterstelle an der Hamburger Gänsemarktoper. Nunmehr begann eine kontinuierliche, äußerst intensive Produktion von Werken für die Stadt.

 

Neben Opern sind es weitere szenische Werke, einzelne Arien, Duette, Kantaten, Serenaden, Kirchenmusiken bis hin zu großen Oratorien, sowie Kammermusik und Ouvertürensuiten.

 

Zwischen 1703 und 1707 übernahm er zeitweise das Direktorat über die Gänsemarktoper. Mit nur einer Unterbrechung in den Jahren zwischen 1717 und 1723, wo Keiser sich auf die Suche nach neuen Wirkungsstätten außerhalb Hamburgs begab, verbrachte er die Zeit bis zu seinem Tode im Jahr 1739 in der Hansestadt.

Als Keiser nach Hamburg übersiedelte, bestand die besondere Attraktion der Stadt, die Oper am Gänsemarkt, bereits 19 Jahre. Es war eine bürgerliche Oper und, im Gegensatz zur höfischen Oper, auf Profiterwirtschaftung ausgerichtet.

Das Opernhaus wurde regelmäßig bespielt und zwar an zwei bis drei Tagen in der Woche, sodass man jährlich auf etwa 90 Vorstellungen kam. Eine solche Vorstellung dauerte infolge Umbauten vier bis zu sechs Stunden, begann am frühen Nachmittag und endete in der Nacht. Da das Theater allen geöffnet war, gab es eine gewisse Garantie für Publikum. Die Oper hatte auch Elemente einer aristokratischen Oper aufzuweisen; so fungierten das Hamburger Patriziat und der Rat teilweise wie Fürst und Hofstaat, und das Unternehmen wurde gestützt durch Aristokraten in und um Hamburg.

Keiser komponierte über Stoffe aus der griechischen und römischen Mythologie, aus Sage und Geschichte, aus der älteren jüdischen, babylonischen, persischen und ägyptischen Historie, aus der neueren europäischen Geschichte und Gegenwart. Etwa 20 verschiedene Dichter lieferten für Keisers Opern die Libretti. Mehrmals während seiner Schaffenszeit wechselte er den Librettisten.

Da Uraufführungen von Keisers Opern in einem großen Zeitraum - zwischen 1694 und 1734 - in Hamburg geschahen, kann man sie als repräsentativ für die inhaltlichen, musikalischen und rezeptionellen Entwicklungstendenzen an der Hamburger Bühne betrachten.

 

Keisers Oper

 

Von den Opern des Zeitabschnittes von 1697 - 1707 in Hamburg sind von Keiser 24 Uraufführungen und 4 Erstaufführungen zu registrieren, zu der Hamburger "Almira" kommt weiterhin eine Weißenfelser. Davon sind 8 Werke vollständig erhalten.

Es ist dies für Keiser eine Zeit voll von Experimenten auf der Suche nach gelungener Text-Musik-Beziehung. Das drückt sich in Vielfalt hinsichtlich musikalischer Formung aus, womit den Textinhalten, der Charakterisierung und Entwicklung der Handlungsträger entsprochen wird. Keisers melodische Einfälle sind schier unbegrenzt. Im Mittelpunkt stehen auf einen Solisten ausgerichtete, mehrgliedrige, größere Szenen. Die Instrumente kombiniert Keiser auf unterschiedlichste Weise. Mit den für dieses Haus geschriebenen Opern bildete sich eine eigene Spielart der Gattung aus, in der nach dem Vorbild der ebenfalls privat-wirtschaftlich geführten venezianischen Oper Stoffe aus der antiken Geschichte mit commedia dell arte-Elementen konfrontiert werden.

Die Bekanntschaft mit dem Grafen von Eckgh, dem kaiserlichen Gesandten im Niedersächsischen Kreis, erbrachte im Winter 1700/01 erstmals die sonntäglichen sogenannten Winterkonzerte.

 

Der geliebte Adonis

 

In diesen hochkarätigen, repräsentativen Konzerten konnte Keiser seine Kompositionen präsentieren. 1697 ging in Hamburg "Der geliebte Adonis" über die Bühne, Keisers früheste vollständig erhaltene Oper. Das Libretto stammt von Christian Heinrich Postel. Dieser nahm einen Stoff aus der römischen (eigentliche phönikischen) Mythologie.

6 Jahre danach fällt Keisers Direktorat über die Oper (1703-1707), das er zugleich mit seinem Kapellmeisteramt ausübte. Dazu komponierte er. Diese Belastung führte zu der Situation um die Oper "Almira" 1703-1706, die später über ein Missverhältnis zwischen Keiser und Händel spekulieren ließ.

 

Weißenfels

 

Bestallungsurkunde als "Capellmeister"   bei Herzog Friedrich Wilhelm von Mecklenburg

Keiser hatte mit der Komposition der Oper "Almira" für Hamburg begonnen, unterbrach aber die Arbeit, als er für Weißenfels den Auftrag einer Oper erhielt, welche anlässlich eines Besuches des Kurfürsten Johann Wilhelm von der Pfalz dort interpretiert werden sollte. Möglicherweise spielte es für den Auftrag eine Rolle, dass Keiser einen bedeutenden Ruf im Vertonen von Opern hatte und dass er, indem er in Teuchern geboren war, letztlich als Untertan des sächsisch-weißenfelsischen Herzogs von diesem in eine Pflicht genommen werden konnte.

Keiser veranlasste nun Händel, die für Hamburg bereits angekündigte "Almira" zu komponieren.

Keiser selbst aber schrieb für Weißenfels eine neue "Almira" Diese wurde am 30.07./05.08.1704 in Weißenfels unter Beteiligung Hamburger Kräfte und Händel als Cembalist unter seiner Leitung aufgeführt. Später vollendete Keiser dann die Hamburger Almira-Fassung.

Zwischen 1703 und 1705 war der glückliche Umstand, dass mehrere bedeutende Musikerpersönlichkeiten an der Hamburger Gänsemarktoper zusammen trafen:

Keiser - als Komponist, Kapellmeister und Direktor

Mattheson - ebenfalls als Komponist, Sänger und Cembalist

Gottfried Grünewald - als Sänger

und Händel - als zweiter Geiger, Cembalist und schließlich als Komponist

Georg Friedrich Händel (1685-1759)

Händel trifft im Sommer 1703 in Hamburg ein.

Dass zwischen Keiser und Händel ein gutes Verhältnis bestanden haben muss, zeigen nicht nur die Umstände um die "Almira", sondern auch ein zweites von beiden vertontes Opernsujet zeigt ähnliche Konstellationen. Erst lässt Keiser Händels "Nero" herausbringen, dann erst stellt er seine eigene Vertonung vor (als "Octavia" 1705). Als Operndirektor hätte Keiser, wenn er es gewollt hätte, jederzeit die Möglichkeit gehabt, sein eigenes Werk vor dem des vermeintlichen Konkurrenten herauszubringen. Händel wiederum studierte intensiv Keisers Kompositionen. Viele "borrowings" in Händels Werken belegen dies. Andererseits fungierte Keiser als Bearbeiter Händelscher Opern für die Hamburger Bühne.

 

Masaniello furioso

 

Zwischen 1706 und 1709 wirkten sogar 4 bedeutende Musiker, nämlich Reinhard Keiser, Christoph Graupner, Gottfried Grünewald und Johann Christian Schieferdecker zugleich an der Gänsemarktoper. Im Juni 1706 fand die Uraufführung von Keisers Oper "Masaniello furioso" statt. Die blühende Melodik der Arien, die ausdrucksvolle Gestaltung der Rezitative, dazu die instrumentalen Klangfarben, sind wesentliche Elemente, die Keisers dramatische Meisterschaft in dieser Oper ausmachen.

Zu den publikumswirksamsten Opern Keisers gehörte "Der angenehme Betrug oder Der Carneval von Venedig", ein Singspiel, das einen hohen Anteil an Tanzeinlagen hatte.

Am 03.01.1712 heiratete Reinhard Keiser Barbara Oldenburg, die Tochter des Hamburger Ratsmusikanten Hieronymus Oldenburg. Der Ehe entstammten zwei Kinder: die Tochter Sophia Dorothea Louyse 1712 und der Sohn Wilhelm Friedrich 1718. Die Taufeintragungen zeigen, wie hoch das Ansehen Keisers zu dieser Zeit gewesen ist.

Heirat Reinhard Keisers mit Barbara Oldenburg am 3. Januar 1712 in Hamburg

Keisers Tochter wird eine bedeutende Opernsängerin, die mit den gefeierten Interpretinnen Margaretha Susanna Kayser und deren Tochter Sophia Amalia Kayser auf der Hamburger Bühne konkurriert. Keisers Sohn stirbt schon vor 1740.

In dieser Zeit setzt sich der Typ der Da-Capo-Arie immer mehr durch. Die Arien wer-den immer häufiger vom gesamten Orchester begleitet. Continuo-Arien findet man immer weniger. Die Szenen sind nun auf die Arien als Kulminationspunkt ausgerichtet. Die Arien sind länger und virtuoser als in den frühen Opern Keisers. Der Solist steht nicht mehr im Mittelpunkt, sondern ist in das gesamte Ensemble integriert. Viele Personen agieren nun gleichzeitig. Von den Opern des Zeitraumes zwischen 1709 und 1717 sind 7 vollständig erhalten.

Neben Opern hatte Keiser eine ganze Reihe von weiteren, szenisch aufgeführten Werken komponiert, Prologe, Epiloge, Serenaden und Balletts. Die Serenaden hatten eine Zwischenstellung zwischen der Oper und der Kantate. Von Bedeutung für das Hamburger Konzertleben waren Arien, Duette und Kantaten, geringstimmige Werke für Vokalstimmen mit und ohne weitere Instrumente und mit Basso continuo. Sehr viele Kantatensammlungen Keisers wurden zwischen 1698 und 1715 in Hamburg gedruckt, nämlich "Gemüthsergötzung" (1698), "Divertimenti serenissimi", "Musicalische Land-Lust" (1714), sowie "Kayserliche Friedenspost". Zu den geringstimmigen Vokal-Instrumental-Werken gehört auch eine Brautmesse.

Ebenbürtig zu den Opern sind Keisers Passionsoratorien und Passionen zu sehen. Drei dieser großen Werke, die Brockespassion, "Der zum Tode verurteilte und gekreuzigte Jesus", sowie die Markus Passion sind vollständig überliefert.

 

Markus Passion

 

Letztere wurde von Johann Sebastian Bach abgeschrieben und von diesem 1713 in Weimar und 1726 in Leipzig interpretiert. Die 1712 uraufgeführte Brockes-Passion machte Geschichte. Nicht nur, dass in den folgenden Jahren sich weitere Aufführungen anschlossen, sondern dass auch andere Zeitgenossen das Libretto vertonten (z.B. Telemann, Händel, Mattheson, Stöltzel und Fasch) und 1719, 1722, 1723 und 1730 die vier Vertonungen von Keiser, Telemann, Händel und Mattheson in Hamburg nacheinander als Zyklus erklangen.

Mehr als 70 Opern hat Keiser geschrieben, außerdem Kirchenmusik unter anderem eine Markus-Passion, der Bach für seine Matthäus-Passion die Idee entnahm, die Jesus-Rezitative mit Streichern zu begleiten. Zeitgenossen nannten ihn in einem Atemzug mit Händel, sahen ihn gar als "das größte Originalgenie, das Deutschland jemals hervorgebracht hat".

Jetzt fristen die wenigen erhaltenen Werke Keisers in Denkmälerausgaben ein vergessenes Dasein, und wie er aussah, weiß keiner: Es gibt kein überliefertes Bildnis.